Birgit Huebner

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zunge, sprache 1 bis 7

Wenn man von der bereits genannten identitätsstiftenden, existentiellen Komponente des Essvorgangs, also dass der Mensch esse, was er sei, ausgeht, stellt sich hierbei die schlichte und doch fundamentale Frage, wie gelingt mir dieses eigentlich? Sprich, welch organischer Mechanismus erlaubt es mir, kulinarische Köstlichkeiten, deren sinnliche Ausstrahlung durch Odeur und Optik zuvor zum Akt des Selektierens führte, in mich aufzunehmen und diese genüsslich in der Mundhöhle zu ertasten - oder auch nur angewidert über den Gaumen schnellstens weiter in Richtung Verdauungstrakt zu lenken? Ein Blick nach oben gen Rotunde weist uns die Antwort. Und somit ist es kein Zufall, dass die Künstlerin Birgit Huebner ihre Arbeit oberhalb des Restaurants platziert hat. Sie stülpt nach Außen, was im Innern oft verborgen ist, sie zeigt in äußerst dezidierter Art, dass die Zunge am Essensprozess einen eminenten Anteil hat. Sie ist unser taktiles inneres Organ, welches unseren Gaumen bestenfalls in himmlische Verzückung versetzen kann. Die gesamte hier dargebotene Thematik der Besinnung wäre ohne Zungenarbeit undenkbar, unerlebbar.

Doch berühren ihre großformatigen Fotografien, die jeweils ein farbig akzentuiertes Close-up auf besagtes Mundorgan werfen, nicht nur das sensuelle Moment der Nahrungsaufnahme, sondern es ist eines der essentiellsten Bedingungen, um uns durch die Verkettung komplizierter lautlicher Gebilde, also durch Sprache, verständlich zu machen: Lingua bedeutet ja sowohl Sprache als auch Zunge. Zungenlos ist uns hingegen die Sprache genommen. Die Zunge feilt die Worte durch Aneinanderreihung von akustischen Zeichen zurecht und transportiert diese dann an den Zuhörer. Schreitet man die 7 langgestreckten Zungenportraits von Birgit Huebner in der Rotunde ab, ergäben sie vielleicht ein Wort, einen Satz, einen gedanklich zusammengesetzten Sinn. Ob dieser sinnlichen Inhalts sein muss, sei dahingestellt, auch wenn die Liebe bekanntlich durch den Magen geht und dabei zwangsläufig den Mundraum samt Zunge passiert.

Das Thema Portrait, dessen sich die Künstlerin mit Vorliebe bedient, und das sich wie ein roter Faden durch ihr Oeuvre zieht, wird hier in ungewöhnlicher Weise aufgegriffen und variiert. Gleichsam schafft Birgit Huebner, indem sie Architektur und Fotografie in herausfordernder Synthese verbindet, ein nachvollziehbares Gesamtbild des komplexen Phänomens von Sprache. Und dieses lässt sich - entsprechend des Ausstellungsmottos - durch vielerlei Sinne assoziativ betrachten, erfühlen, erdenken.

Nicole Heusinger

Einführungsrede anläßlich der Ausstellung

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